Anlässlich seines 150. Geburtstags widmet die Fondation Beyeler dem niederländischen Maler Piet Mondrian (1872–1944) noch bis am 9. Oktober 2022 eine umfassende Ausstellung mit Werken aus der eigenen Sammlung sowie wichtigen internationalen Leihgaben. Als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Künstler der Avantgarde hat Mondrian die Entwicklung der Malerei von der Figuration zur Abstraktion massgeblich geprägt. Anhand von 89 Werken zeichnet «Mondrian Evolution» die beeindruckende Wandlung des Künstlers vom Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts zu einem der führenden Protagonisten der Moderne. Die Ausstellung bietet die seltene Gelegenheit, Mondrian, der nicht nur die Kunst des 20. Jahrhunderts, sondern auch weitere Bereiche wie Design, Architektur, Mode und Popkultur wesentlich beeinflusste, auf eine neue Weise zu entdecken und kennenzulernen. Es ist die erste umfangreiche Einzelausstellung des Künstlers in der Schweiz seit 50 Jahren.
Mondrian Evolution zeigt die beeindruckende Wandlung des Künstlers
Während sich die Sammlung der Fondation Beyeler vor allem auf Werke aus den späteren Schaffensphasen Mondrians konzentriert, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf der Entwicklung von Mondrians Frühwerk. Seine frühen Arbeiten waren von der niederländischen Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts bestimmt, aber auch der Symbolismus und Kubismus waren für seinen künstlerischen Werdegang von grosser Bedeutung. Erst ab Anfang der 1920er-Jahre verlegte sich Mondrian auf eine komplett gegenstandslose Bildsprache, die sich auf die rechtwinklige Anordnung von schwarzen Linien mit Flächen in Weiss und den drei Grundfarben Blau, Rot und Gelb beschränkte. Mondrians abstrakte Gemälde sind Resultate eines langen Prozesses der künstlerischen Auseinandersetzung im Spannungsfeld zwischen Intuition und Präzision und der steten, intensiven Selbstbefragung. Er selbst verstand unter Abstraktion einen Prozess der Annäherung an eine absolute Wahrheit und Schönheit, nach der er als Künstler strebte. Seine stilistische Wandlungsfähigkeit war das Ergebnis seiner fortwährenden Suche nach der Einheit und Essenz des Bildes an sich. Er selbst verwendete den Begriff der «Evolution» – dies jedoch nicht im Sinne Charles Darwins. Für Mondrian bedeutete «Evolution» vielmehr das Sammeln von Erfahrungen, auf denen eine neue Stufe der künstlerischen Entwicklung aufbaute, die wiederum zu weiteren Erkenntnissen führte.
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, lebt jedoch nicht zuletzt von der Gegenüberstellung von frühen und späten Werken, die den Wandel in Mondrians Schaffen hervortreten lassen. In neun Ausstellungsräumen begegnet man wiederkehrenden Motiven im Werk des Künstlers, darunter Windmühlen, Dünen, das Meer, sich im Wasser spiegelnde Bauernhöfe und Pflanzen in verschiedenen Abstraktionsstufen. In seinen Landschaftsbildern experimentierte Piet Mondrian mit der Leucht- und Strahlkraft der Farbe, was diese Gemälde ausgesprochen hell und kraftvoll erscheinen lässt, sowie mit dem Einfluss des Lichts und der Erfahrung von Raum, Fläche, Struktur und Reflexionen.
Das noch heute radikal wirkende Gemälde Mühle bei Sonnenschein aus dem Jahr 1908 sorgte zur Zeit seiner Entstehung bei Kritikern wegen seiner scheinbaren Explosion der Farben und skizzenhaften Maltechnik für Aufregung. Die Ausstellung präsentiert ausserdem das stimmungsvolle Werk
Die rote Wolke von 1907, das den magischen und flüchtigen Moment einfängt, in dem eine Wolke durch die tief stehende Sonne rot gefärbt wird, wohingegen sich die Landschaft und der übrige Himmel noch strahlend blau darbieten. Das Bild gehört zu einer Gruppe von Werken, die Mondrian in der Dämmerung gemalt hat, wenn sich die Farben und Farbkombinationen stark verändern. Auch in seinen gezeichneten Selbstporträts von 1908 hat er sich in der Dämmerung dargestellt, die Pupillen weit geöffnet und empfänglich selbst für die geringsten durch das Licht hervorgebrachten Farbnuancen.
Mondrians ebenfalls 1908 entstandenes grossformatiges Gemälde Wald bei Oele aus dem Kunstmuseum Den Haag zeigt einen Blick in Richtung Sonne, die über dem Horizont steht. Durch die hintereinander gestaffelten, im Gegenlicht rot oder violett erscheinenden Baumstämme wird die Illusion von Räumlichkeit erzeugt.
Nach den Farbexplosionen der Jahre 1907 bis 1911 griff Mondrian, angeregt durch die Begegnung mit dem Kubismus in Paris, auf weniger strahlende Farben zurück. Grau- und Ockertöne bestimmten nun den Gesamteindruck der Gemälde, und die Linie als solche wurde immer wichtiger. Mondrian setzte seine Beschäftigung mit Themen wie der Abstraktion fort. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung von Bäumen und ihrer Metamorphose, worin sich seine gestalterischen Beweggründe besonders anschaulich zu erkennen geben.
Die Erfahrung mit diesen Bildern ermöglichte Mondrian, die Gegenständlichkeit komplett hinter sich zu lassen. Composition No. IX von 1913, eine Leihgabe aus dem Museum of Modern Art in New York, besteht aus einer Struktur ineinander verschachtelter, zumeist durch rechte Winkel charakterisierter Formen.
New York City 1 ist das jüngste Werk in der Ausstellung und gehört zu einer kleinen Gruppe von um 1941 entstandenen Bildern. Es zeigt eine ähnliche Konstellation wie Wald bei Oele von 1908, nur dass die spätere Komposition keinerlei Bezug zu einer realen Landschaftssituation hat, sondern «pur abstrakt» ist. Das Werk ist unvollendet und ein wichtiges Zeugnis für Mondrians Arbeitsweise in seinen letzten Lebensjahren. Der Künstler hatte in New York begonnen, seine Bildideen zu verändern und sie mithilfe von Papierstreifen dynamischer und rhythmischer zu gestalten. Die farbigen Flächen wurden zugunsten farbiger Linien aufgegeben.
In eine künstlerische Familie hinein geboren
Der 1872 in Amersfoort in den Niederlanden geborene Mondrian kam bereits früh mit der Kunst in Berührung: Der Vater war Zeichenlehrer, der Onkel ein erfolgreicher Amateurmaler, der von der Den Haager Schule der Landschaftsmalerei, einer spezifisch niederländischen Form des Impressionismus, beeinflusst war. Nach einer calvinistischen Erziehung und der Ausbildung zum Zeichenlehrer studierte Mondrian zwischen 1892 und 1895 an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam. Er arbeitete weiter als Zeichenlehrer, malte Porträts auf Bestellung und fertigte wissenschaftliche Zeichnungen für die Universität Leiden an. Mondrian verfolgte aber auch seine künstlerischen Ambitionen und entwickelte zusehends seinen eigenen malerischen Stil. In den meisten seiner Werke aus dieser Zeit, die überwiegend Windmühlen, Flüsse und Bauernhäuser zeigen, gibt sich noch der Einfluss der Haager Schule zu erkennen. Davon ausgehend, erweiterte Mondrian zielstrebig seine künstlerischen Möglichkeiten.
Mondrians Kunst steht in engem Zusammenhang mit seinem Interesse für Philosophie und Esoterik. Seit dem Jahr 1908 begann er sich intensiv mit der Theosophie zu beschäftigen; unter dem Eindruck der Schriften Rudolf Steiners – damals noch Theosoph – trat er 1909 dem niederländischen Zweig der Theosophischen Gesellschaft bei. Die Begegnung mit dem Kubismus führte Ende 1911 zu einem ersten Aufenthalt in Paris, der bis 1914 währte, als Mondrian wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges nicht dorthin zurückkehren konnte. 1919 zog er dann dauerhaft nach Paris.
Nach dem Ersten Weltkrieg strebten viele Künstler nach einem radikalen kulturellen Neuanfang. In den Niederlanden formierte sich eine Gruppe gleichgesinnter Avantgardisten, deren Publikationsorgan 1917 die Zeitschrift De Stijl wurde. Mondrian formulierte den Anspruch der Künstlergruppe, Traditionen zu zerstören, um auf Grundlage der von ihm propagierten essenziellen Elemente der Kunst alle Aspekte des Lebens neu zu gestalten.
In theoretischen Schriften versuchte Mondrian sein künstlerisches Programm zu erörtern. Seine neue malerische Ausdrucksweise bezeichnete er als «Neue Gestaltung», französisch «néoplasticisme», ein Begriff, der als «Neoplastizismus» auch im Deutschen gebräuchlich wurde. Mondrian verstand darunter in erster Linie die Konzentration auf essenzielle Ausdrucksmittel der Malerei: zum einen Schwarz und Weiss, die sich jeweils am entgegengesetzten Ende der Farbskala befinden, zum anderen die Grundfarben Gelb, Rot und Blau. Schwarz sind in der Regel die Linien, die vertikal und horizontal verlaufen und bei ihrem Aufeinandertreffen einen rechten Winkel bilden. Die Möglichkeiten der Bildkompositionen, die sich durch
das Zusammenspiel dieser Faktoren ergeben, sind gleichsam unendlich. Mondrian ging es um das essenzielle Bild, die Schaffung eines perfekten Gleichgewichts, das dennoch spannungsvoll ist und in dem alle Elemente an ihrem richtigen Platz zu sein scheinen.
Die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte Mondrian in den drei kulturell wichtigsten Metropolen der Moderne: Paris, London und New York. Von Ende 1911 bis 1938 lebte er, mit einer durch den Ersten Weltkrieg bedingten Unterbrechung, in Paris. Nach einer Zwischenstation in London zog er 1940 nach New York, wo er 1944 im Alter von 71 Jahren starb. Als Mitglied der Theosophischen Gesellschaft legte Mondrian grossen Wert auf Internationalität. Seit den 1920er-Jahren war er als Avantgardist und Mitbegründer der abstrakten Malerei eine Berühmtheit. Seine jeweiligen Ateliers wurden legendäre Orte, die ausserordentlich inspirierend wirkten, vor allem für jüngere Künstlerinnen und Künstler, darunter Willem de Kooning und Lee Krasner.
Ergänzend zur Ausstellung zeigt die Fondation Beyeler «Piet & Mondrian», einen Kurzfilm von Lars Kraume, einem der renommiertesten deutschsprachigen Filmregisseure. Ausgangspunkt des Films ist der 1919/20 von Mondrian verfasste Aufsatz in Dialogform Natürliche und abstrakte Realität, in dem dieser seine Überlegungen und Gedanken zur Abstraktion in der Kunst formulierte. Der bekannte Theater- und Filmschauspielers Lars Eidinger erweckt Mondrians theoretischer Text zum Leben. «Piet & Mondrian» wurde von Felix von Boehm / Lupa Film mit Fördermitteln des Medienboard Berlin-Brandenburg produziert. Das Drehbuch stammt von Constantin Lieb.
Die Fondation Beyeler ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs bis 20 Uhr.